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Medizin studieren: Fließende Übergänge

Ein Porträt-Foto von Maril

Autor:
Maril

Rubrik:
studium

22.12.2021

Es ist ein verbreitetes Klischee zu glauben, dass Natur- und Geisteswissenschaften Gegensätze seien und nicht miteinander auskommen können. Denn: Ein Biologe kann sich sehr wohl auch für Literatur und Geschichte interessieren und ein Kunsthistoriker die Neigung verspüren, Reaktionsgleichungen aufzustellen. Eine strikte Trennung ist vielleicht einfacher, aber völlig realitätsfern. Dabei geht es nicht nur darum, dass ein Individuum die Grenzen von Geistes- und Naturwissenschaft für sich selbst auflöst. Es ist großartig, wenn man sich für viele verschiedene Themen begeistern und diese womöglich auch neu verbinden kann. Doch viel wichtiger ist meiner Meinung nach, dass genau diese Offenheit und ganzheitliche Betrachtungsweise seinen Weg in die Lehre an Schulen und Universitäten, in die Literatur, in die Gesellschaft findet - und damit in die Köpfe (fast) aller Menschen.

Seitdem ich mit meinem Medizinstudium begonnen habe, bin ich dahingehend immer wieder positiv überrascht worden. Beispielsweise gibt es verschiedene Hochschulgruppen von Mediziner*innen an meiner Uni, die genau solche Verbindungen schaffen. Die Gruppe „Kritische Medizin Leipzig“ diskutiert wöchentlich gesundheitspolitische Fragen und organisiert Vortragsreihen, Workshops, Demos und andere Veranstaltungen. Da ist weiterhin das Team hinter dem Medizinerball und der Medizinerchor, die beweisen, dass Naturwissenschaftler*innen auch singen und tanzen können und nicht nur begraben unter ihren Büchern schlau daherreden. Oder das Projekt „Lebende Anatomie“, das mit seinen wundervollen Kalendern kunstvolle Fotografie mit Anatomie verbindet. Aber auch im Studium an sich halten die Dozent*innen immer wieder Exkurse oder ganze Vorlesungen, in denen sie uns auf Themen, Projekte, Veranstaltungen und Medien hinweisen, die von der reinen Naturwissenschaft abweichen.

Natürlich ist die Medizin auch besonders prädestiniert für solche Querverbindungen, da sie keine reine Naturwissenschaft ist. Zwar bekommt man die volle Dröhnung an Biologie, Chemie, Physik, Biochemie, Physiologie und Anatomie. Doch neben diesen Grundlagen existiert in der Medizin auch eine große soziale und gesellschaftliche Komponente. Dieser müssen angehende Mediziner*innen auch gerecht werden, weshalb wir bereits in der Vorklinik eine Vorlesungsreihe zum Thema Psychologie und Soziologie sowie einen Gesprächsführungskurs hatten. Später folgt dann auch das Fach Medizingeschichte. Zudem gibt es inzwischen auch zahlreiche geisteswissenschaftlich-orientierte Wahlfächer. Wer sich also mit einer Fremdsprache, Global Health oder eben Geschichte beschäftigen möchte, kann dies guten Gewissens tun, da die Wahlfächer mittlerweile als Zulassungsvoraussetzung für das Staatsexamen anerkannt werden. Die Geisteswissenschaften haben demnach mittlerweile zumindest in Ansätzen ihren Weg in die Medizin gefunden. Ich kann es nur gutheißen und freue mich schon darauf, im Laufe meines Studiums mehr davon zu entdecken.