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Schülerleben live: Mein zweites Gedächtnis

Ein Porträt-Foto von Maril

Autor:
Maril

Rubrik:
orientieren

19.08.2020

Notizbücher sind meine absolute Schwäche. Es gibt tausende, wunderschön gestaltete Notizhefte, Notizblöcke und Notizbücher. Wenn ich in einen Buchladen gehe kann ich nie an dem Regal mit den Notizbüchern vorbeigehen, ohne nicht zumindest kurz stehenzubleiben. Man kann also leicht erahnen, wie mir in Schreibwarenläden zumute ist, wenn ich eigentlich gar keine Zeit zum Schmökern habe.
Vielleicht ist es die Faszination des leeren Blattes. Ich will die Seiten bemalen, beschreiben, gestalten. Sie mit Ideen, Skizzen, Flyern, Eintrittskarten, Poetry Slams, Zitaten, Fotos, Rezepten, Postkarten, Gedichten, Erinnerungen und Fundstücken füllen. Warum, weiß ich nicht. Womöglich glaube ich etwas Wichtiges zu sagen zu haben – obwohl mir die Vorstellung, dass sich je irgendjemand etwas davon ansehen könnte, eigentlich überhaupt nicht gefällt. Dennoch möchte ich meine Gedanken loswerden und sie zu Papier bringen. Typisch, ein Teenager braucht sein – in diesem Fall erweitertes – Tagebuch. Ich möchte vermutlich genau das festhalten, was man eigentlich gar nicht festhalten kann: Momente und Gefühle. Ich möchte sie nicht nur kurz in der jeweiligen Situation spüren und dann nur noch als schemenhafte Erinnerung in mir tragen – denn darauf läuft es meist hinaus, auf das Vergessen. Stattdessen möchte ich alles einfangen, wenigstens teilweise einem der Realität ziemlich nahekommendes Abbild schaffen, um es mir dann später immer wieder ansehen zu können.
Vielleicht spricht es für ein ziemlich erbärmliches Erinnerungsvermögen, wenn ich Notizbücher brauche, um das alles festzuhalten. Dafür ist doch eigentlich das Gehirn zuständig. Früher habe ich auch sehr viel fotografiert, um alles um mich herum irgendwie einzufangen. Meine Oma sagte damals, weil sie von meinem Herumgeknipse genervt war: „Ach Kind, das Gedächtnis ist doch der Fotoapparat des Lebens.“ Mein 12-jähriges Ich war von diesem sinnträchtigen Spruch so beeindruckt, dass ich bald darauf kaum noch fotografierte und immer angestrengter versuchte, bleibende Erinnerungen zu schaffen – jedoch mit wenig Erfolg. Ich versuchte mir alles, jedes Detail, jede Farbe, jedes Geräusch ganz genau einzuprägen und verlor damit den Blick für das Gesamte und vor allem auch für die Gedanken und Gefühle, die ich mit der jeweiligen Situation verband. Und so kramte ich wieder alte Notizbücher heraus und begann sie zu füllen. Sie beherbergen meine intimsten Gedanken, die ich sonst nicht ausspreche. Sie sind nur für mich bestimmt und es tut gut, sie von Zeit zu Zeit anzuschauen. Vielleicht ist es eine Nonsens-Beschäftigung, doch seien wir mal ehrlich: Wenn ich alles aus meinem Leben entfernen würde, was objektiv betrachtet mehr keinen Zweck erfüllt, dann bleibt nicht mehr allzu viel übrig.