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Was tun nach dem Abi?: Neue Eindrücke und vertraute Gefilde

Autor:
Max

Rubrik:
orientieren

10.10.2019

Vivian loggte sich heute auf meinem Handy fürs Bikesharing ein, wodurch ich nun endlich problemlos und unabhängig Fahrräder in der Stadt benutzen konnte. Mit ihr und William fuhr ich am Vormittag zur Fabrik für Vakuumröhren. Diese wurden für die solarthermischen Anlagen produziert, die zum Beispiel Duschwasser erhitzten. William hatte schon einige Gäste herumgeführt und konnte die einzelnen Produktionsschritte ziemlich detailliert erklären.
Nach dem Fabrikbesuch schwangen wir uns auf unsere geliehenen Bikes und erkundeten die Stadt. Die schönen Gärten und Kanäle machten schon was her, auch wenn man merkte, dass sie künstlich angelegt waren. Ich war froh, nach den ersten zwei eher langweiligen Wochen endlich die Stadt besser kennenzulernen. Zum Mittagessen gingen wir in ein Lokal mit großem Buffet. Unter anderem probierte ich zum ersten Mal frittierte Insekten und Schweinefüße. Von den Insekten hatte ich mir dabei durchaus mehr erhofft, sie besaßen einen komischen Nebengeschmack.
Gut gefüllt machten wir uns auf zum Utopia Garden, eines der Projekte von Hi-min. Es handelte sich dabei um eine edle Hochhaussiedlung, umgeben von einem großen Garten mit Teich und verschiedenen Pflanzen. Auf dem Dach der Hochhäuser befand sich eine aufwendige Installation mit Solaranlagen in Form einer Welle, die den ganzen Komplex tatsächlich ein bisschen utopisch aussehen ließ. Im Herzen des Utopia Gardens befand sich – zu meiner Überraschung – ein Waldorfkindergarten. Das hatte ich in China wahrlich nicht erwartet. Die ganze Einrichtung war ziemlich modern, aber ich entdeckte viele anthroposophische Elemente wieder, die ich aus meiner Zeit in Kindergarten und Waldorfschule noch kannte: bunte Schleier, Holzverkleidungen und sogar einen Jahreszeitentisch.
Die Managerin war erst 29 Jahre alt und hochschwanger mit ihrem vierten Kind. William erzählte, dass sie und ihr Mann eine hohe Strafe zahlen mussten, kurz bevor die Ein-Kind-Politik abgeschafft wurde. Zusammen mit Kindergärtnerinnen und Eltern saß ich etwas später in einem Stuhlkreis und unterhielt mich mit ihnen über meine Erfahrungen mit der Waldorfbildung. William fungierte hierbei erneut als Dolmetscher.
Auch wenn die ganze Einrichtung nicht so natürlich und authentisch wirkte, wie ich es aus meiner Schule oder aus meinem alten Kindergarten gewohnt war, fand ich es schön, dass die Waldorfpädagogik den weiten Weg nach China genommen hatte. Zwar gab es bis jetzt nur Kindergärten und Grundschulen, aber das war immerhin ein Anfang, um das stark auf Leistung ausgelegte Schulsystem menschlicher zu machen. Andererseits war dieser Kindergarten ziemlich elitär. Das offenbarte sich, als die Mütter mit High-Heels und Gucci-Täschchen am Gatter auf ihre Kinder warteten. Schließlich kostete der ganze Spaß hier dreimal so viel wie ein konventioneller Kindergarten.