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Was tun nach dem Abi?: Neue Freunde

Autor:
Max

Rubrik:
orientieren

04.10.2019

Mein Aufenthalt in Dezhou änderte sich, als ich William kennenlernte, der erste in dieser Stadt, der fließend Englisch sprach. Er und seine Mitbewohnerin Vivian luden mich in ihre Wohnung zum Essen ein. Es gab Pizza und Käse – zwei Dinge, die ich für meine Zeit in China schon aufgegeben hatte.
Wir unterhielten uns angeregt und William erzählte aus seinem Leben, in dem er schon so einiges erlebt und erreicht hatte. Er war ein ziemliches Multitalent, gab Entrepreneurship-Kurse, hatte Opernmusik studiert, konnte programmieren und arbeitete als Dolmetscher – alles auf freiwilliger Basis. Hin und wieder bekam er aber auch üppig bezahlte Aufträge. So hielt er sich recht einfach über Wasser und hatte mehr Zeit für die Projekte, die ihm am Herzen lagen und die er freiwillig machte. Mit seinen zwei Söhnen und seiner Frau hatte er bereits in Kanada und Costa Rica gelebt, jetzt gerade besuchte er sie regelmäßig in Shanghai. Vivian war seine Kollegin in Dezhou. Wie sich im Laufe des Abends herausstellte, konnte sie ausgezeichnet kochen. Sie sprach nicht so sicher Englisch wie William, aber sie hatte offenbar kein Problem damit, auch mal ein paar Fehler zu machen.
Später erzählte mir William, warum die meisten Chinesen so schlecht Englisch sprachen. Die Schüler lernten zwar ihre gesamte Schulzeit und sogar noch im College Englisch – das große Problem war allerdings, dass der ganze Unterricht nur in der Theorie stattfand. Die Schüler konnten komplexe Prüfungen bestehen und beherrschten die Grammatik, allerdings lernten sie nie den praktischen Umgang mit der Sprache kennen. In anderen Fächern herrschte anscheinend ein ähnliches Problem. In Wettbewerben waren die Chinesen häufig die besten, doch der Praxisbezug kam in der Schulzeit viel zu kurz, sodass sie später im Beruf Schwierigkeiten hatten, ihre Fähigkeiten anzuwenden.
Nicht nur der theoretische Unterricht, sondern auch der extreme Druck setzte den Schülern zu. Aufgrund der riesigen Population herrschte eine enorme Konkurrenz. Ein guter Job war da nur mit herausragenden Noten zu erreichen, worunter Kreativität und individuelle Förderung litten. William hatte sich bei seinen eigenen Kindern deshalb für Hausunterricht entschieden. Stolz erzählt William, dass sein zehnjähriger Sohn innerhalb eines halben Jahres vier Englischklassen absolviert hat und sich gerade mit den Mondraketen der NASA auseinandersetzt.
Von Anfang an waren William und Vivian sehr fürsorglich und hießen mich bei ihnen willkommen. Nach den vergangenen tristen Tagen in Dezhou tat mir ihre Gesellschaft richtig gut.